Nachdem sich acht Bürgerstiftungen für das Finale des diesjährigen Ideenwettbewerbs der Initiative Bürgerstiftungen und der Herbert Quandt-Stiftung qualifiziert und 5.000 Euro Startgeld erhalten hatten, ging es während der letzten neun Monate darum, diese Ideen in die Praxis zu überführen. Auf dem sogenannten „Markt der Möglichkeiten“ in Bielefeld haben sie nun ihre Ergebnisse vorgestellt. Die unabhängige Jury, die mit namhaften Experten aus Wissenschaft und Non-Profit-Sektor besetzt ist, wird im Dezember entscheiden, welche Projekte auf den ersten drei Plätzen landen. Die Gewinner-Bürgerstiftungen erhalten zusammen noch einmal 30.000 Euro, um ihre Projekte dauerhaft zu verankern.
Seit 2010 rufen die Initiatoren des Ideenwettbewerbs Bürgerstiftungen dazu auf, „Brücken zwischen den Menschen zu bauen“, indem sie zu den jeweiligen Jahresthemen Projekte starten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. 2011 lautet das Ziel, Brücken zwischen verschiedenen sozialen Milieus zu schlagen. Die nächste Ausschreibung für den Ideenwettbewerb 2013 soll motivieren, verschiedene kulturelle Milieus zu verbinden.
„Ob Bildungschancen, Aufstiegsmöglichkeiten, Wohngebiete oder Einkommen: Immer mehr Indikatoren zeigen, dass sich die deutsche Gesellschaft auseinanderentwickelt, der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt bedroht ist“, sagt Prof. Dr. Burkhard Küstermann, Leiter der Initiative Bürgerstiftungen. „Bürgerstiftungen sind geeignete Akteure, dem etwas entgegenzusetzen, denn sie wirken da, wo sich diese Entwicklungen manifestieren: auf der lokalen Ebene.“
Dr. Roland Löffler, Leiter des Themenfelds „Bürger und Gesellschaft“ bei der Herbert Quandt-Stiftung in Berlin ergänzt: „Die Bürgerstiftungen, die beim Ideenwettbewerb im Finale stehen, beweisen, wie sich gute Ideen mit etwas Geld und viel Engagement schon in relativ kurzer Zeit in die Tat umsetzen lassen. Und sie führen vor Augen, was für einen Gewinn dieses Engagement für die Gesellschaft bedeutet.“
Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ informierten die Bürgerstiftungen über ihre Projekte und präsentierten einen Zwischenstand:
Bürgerstiftung Sindelfingen: „Alte Koffer – Neue Träume“ – Generationentheater
Einst hatten sie ihre Koffer gepackt und waren nach Deutschland aufgebrochen, um hier als Gastarbeiter Geld zu verdienen. Welche Vorstellungen, welche Träume sie damals wohl hatten? Diese Frage greift das Projekt „Alte Koffer – neue Träume“ auf. Vier Generationen, Deutsche und Türken, sind zusammengekommen, um die Erinnerungen der Älteren mit den Erfahrungen der Jüngeren zusammenzuführen. Bei bislang fünf Themenabenden tauschten sie sich bei türkischen Gerichten und türkischer Musik aus, betrachteten alten Fotos, schwelgten in Erinnerungen – und gewannen so ganz neue Erkenntnisse. Die Älteren erfuhren, wie sich die Jungen in dem Land, das sie gewählt haben, heute fühlen. Für die Jüngeren war das Projekt Anlass, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Zusammen mit einer Theaterpädagogin haben sie aus den Erinnerungsfetzen eine Geschichte entwickelt. „Bei der Arbeit an dem Stück ist allen Beteiligten bewusst geworden, wie sehr sich ihre Identität verändert hat“, sagt Jutta Pflieger-Nolting von der Bürgerstiftung Sindelfingen. Im Herbst wird das Stück in Sindelfingen uraufgeführt.
Kontakt: Jutta Pflieger-Nolting, Bürgerstiftung Sindelfingen, Telefon: 07031-94800, info@buergerstiftung-sindelfingen.de, www.buergerstiftung-sindelfingen.de
Bürgerstiftung Augsburg: „K.i.E.S. – Kinder, Eltern, Senioren – Gewinn für alle Generationen“
Für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern stellt schon der Schuleinstieg eine Hürde dar. Besonders sichtbar wird das an sozialen Brennpunkten wie der Augsburger Löweneckschule. Manchmal sind es vermeintliche Kleinigkeiten: „Viele Eltern mit Migrationshintergrund wissen zum Beispiel nicht, was eine Schultüte ist“, sagt Susanne Puhle, Mitglied im Stiftungsrat der Bürgerstiftung Augsburg. In schwerer wiegenden Fällen geht es darum, dass manche Eltern, sich gar nicht mit dem Schulsystem auskennen, nicht wissen, worauf es ankommt. Um hier gegenzusteuern, hat die Bürgerstiftung das Projekt „Ki.E.S.“ gestartet. Kinder und Eltern erhalten hier praktische Hilfestellungen – von Senioren, Patenoma oder -opa genannt, die gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften und Stadtteilmüttern jede Woche etwas von ihrem Wissen weitergeben. „Für die ‚Großeltern’ ist es eine große Freude, zu helfen und zu spüren, dass sie gebraucht werden “, sagt Puhle.
Kontakt: Susanne Puhle, Bürgerstiftung Augsburg, Telefon: 0821-64746, info@buergerstiftung-augsburg.de, www.buergerstiftung- augsburg.de
Bürgerstiftung Berlin: „Die Zauberlehrlinge“
Schon Grundschulkinder können sich für physikalische Zusammenhänge begeistern, besonders wenn es ans Experimentieren geht. Seit Jahren schickt die Bürgerstiftung Berlin pensionierte Ingenieure, Physiker und Lehrer in Berliner Schulen, um bei den Schülern Interesse für die „Zauberhafte Physik“ zu wecken. Für den Ideenwettbewerb hat die Bürgerstiftung das Projekt um die „Zauberlehrlinge“ erweitert. Einbezogen wurden Auszubildende namhafter Unternehmen und des SOS-Berufsbildungszentrums Berlin. Sie treten nun ebenfalls als Paten auf. „Es war ohnehin nicht mehr möglich, genug Pensionäre zu finden, die bereit sind, Schülern die Wunder der Physik nahezubringen“, wie Uta Jankowsky von der Bürgerstiftung Berlin erklärt. Diese Erweiterung hat verschiedene Vorteile: Die Auszubildenden sind näher dran an den Kleinen, treten als Vorbilder auf und zeigen darüber hinaus, welche beruflichen Wege Physikinteressierten offenstehen. Zugleich versetzt sie das Projekt in eine Doppelrolle: Einerseits bringen sie etwas bei und schulen so ihre didaktischen Fähigkeiten, andererseits lernen sie selbst von den älteren Physikpaten: unter anderem Sozialkompetenz und Verantwortungsbewusstsein.
Kontakt: Dr. Helena Stadler, Bürgerstiftung Berlin, Telefon: 030-83228113, h.stadler@buergerstiftung-berlin.de, www.buergerstiftung-berlin.de
Bürgerstiftung Düren: „Von 9-99: Das Orchester“
Mit so viel Widerstand hatte sie nicht gerechnet. Nachdem Dr. Gisela Hagenau von der Bürgerstiftung Düren ihr Vorhaben publik gemacht hatte, musste sie erstmal die Wogen glätten. Als generationsübergreifendes Projekt für den Ideenwettbewerb wollte sie ein Orchester auf die Beine stellen, in dem nicht nur Profis und Laien Seite an Seite spielen, sondern auch Angehörige aller Generationen gemeinsam musizieren; ein Orchester von 9 bis 99 eben. „Die Idee war, durch die Proben eine verbindende Basis zu schaffen. Die Musizierenden sollten voneinander lernen und die Stücke gemeinsam erarbeiten“, sagt Hagenau. Doch in Düren gab es Bedenken, das übergreifende Orchester könnte die anderen Laienorchester zerstören. So musste Gisela Hagenau viel Überzeugungsarbeit leisten, bis ihr Orchester Akzeptanz fand. Schließlich hat es geklappt. Seit einiger Zeit proben die 85 Orchestermitglieder – mit beispielsweise acht Flöten und fünf Klarinetten ganz unorthodox zusammengestellt, weil man niemanden abweisen wollte – schon erfolgreich Stücke von Mendelssohn, Ausschnitte aus der Oper „Hänsel und Gretel“ und verschiedene Weihnachtslieder. Und gemeinsam fiebern sie auch auf den großen Augenblick hin: das Weihnachtskonzert im Dezember.
Kontakt: Dr. Gisela Hagenau, Bürgerstiftung Düren, Telefon: 02421-208080, info@buergerstiftung-dueren.de, www.buergerstiftung-dueren.de
Stiftung Bürger für Leipzig: „Video der Generationen – Engagement von Jung und Alt“
„Wir haben bewusst provoziert, um die Leute wachzurütteln“, sagt Angelika Kell, Vorstandsvorsitzende der Stiftung für Bürger Leipzig. Als Beitrag zum Ideenwettbewerb hat die Bürgerstiftung freche Videos produziert, die ältere Menschen dazu anregen sollen, sich zu engagieren. Sie zeigen zum Beispiel, dass das Leben zu schade ist, um im Alter „Löcher in den Käse zu bohren“. Die Botschaft ist klar: Es braucht mehr ehrenamtlich Tätige. „Gerade Senioren können sich noch mehr mit ihren Fähigkeiten einbringen“, wie Dr. Regina Liebold ergänzt. Der Brückenschlag zwischen den Generationen erfolgt auf zwei Arten: Die Ideen zu den Filmen hat die Bürgerstiftung mit dem Medienclub „Leipziger Löwen“ entwickelt und umgesetzt. Dort engagieren sich Menschen zwischen 23 und 79 Jahren; wichtigstes Ziel ist der generationenübergreifende Austausch. Zum anderen kommen ältere Menschen, wieder mit Jüngeren in Kontakt, wenn sie sich engagieren. Gezeigt werden die drei Spots im öffentlichen Raum, etwa in der Leipziger U-Bahn. Sie können aber auch von anderen Bürgerstiftungen verwendet werden.
Kontakt: Angelika Kell, Stiftung Bürger für Leipzig, Telefon: 0341-9601530, angelika.kell@buergerfuerleipzig.de, www.buerger-fuer- leipzig.de
Bürgerstiftung Kinder- und familienfreundliches Melsungen: „Familiendorf Röhrenfurth“
Unterstützt von der Bürgerstiftung Melsungen ist seit 2010 das „Familiendorf Röhrenfurth“ entstanden, das sich zum Treffpunkt für den ganzen Stadtteil entwickelt hat. Das Familiendorf ist eine Kooperation zwischen Schulen, Kindergärten und einem Kindergartenverein. Jung und Alt kommen, um gemeinsam zu spielen, zu basteln oder zu kochen. Auch Ausflüge stehen auf dem Programm. Ein Höhepunkt dieses Jahres war der Besuch der Documenta in Kassel. In Windeseile hatte sich das Projekt herumgesprochen. „Werbung mussten wir nicht machen. Das ist aber auch der Vorteil der geringen Einwohnerzahl von Röhrenfurth“, sagt Karin Plehnert-Helmke, die in dem Projekt mitarbeitet. Entstanden ist die Idee zur Eigeninitiative übrigens, weil es zuvor in Röhrendorf nachmittags zu wenige Betreuungsplätze für Kinder gab. Nun ist das Projekt zum „Selbstläufer“ geworden, wie Plehnert-Helmke sagt. „Leute, die sich hier engagieren wollen, stehen mittlerweile Schlange.“ Und die älteste Engagierte ist stolze 90 Jahre alt.
Kontakt: Doris Ilgen, Bürgerstiftung Kinder- und familienfreundliches Melsungen, Telefon: 05661-9261931, poststelle@g.roehrenfurth.schulverwaltung.hessen.de, www.melsungen-foerdert.de
Bürgerstiftung Nürnberg: „Sinnesgarten für Alt und Jung“
Wo bis vor kurzem Pflastersteine lagen, blühen jetzt Kräuter, sprießt Gras, sind kunstvoll Wege angelegt. Auf Initiative der Bürgerstiftungen Nürnberg haben die Schüler der 7. Klasse einer Mittelschule gemeinsam mit Tagespatienten einer Pflegeeinrichtung der Caritas für demenzkranke Senioren einen Parkplatz in einen Garten verwandelt. Der Garten soll alle Sinne ansprechen: durch den Duft der Pflanzen, die Schönheit der Blüten, den Geschmack der Kräuter, das Rascheln des Windes in den Blättern. Das Ergebnis ist erstaunlich: „Wenn die demenzkranken Patienten die Kräuter sehen und an ihnen riechen, erinnern sie sich häufig an deren längst vergessenen Namen“, sagt Karin Eisgruber von der Bürgerstiftung Nürnberg. Überhaupt konnten die alten Herrschaften schon bei der Umsetzung mithelfen, haben sich regelrecht als „Baustellenleiter“ betätigt und den Schülerinnen und Schülern, die den Garten anlegten, gesagt, was wo hin muss. Auch für die Schüler war es eine bereichernde Erfahrung. Sie haben Einblicke in das Leben der Tagespatienten bekommen. Man könnte meinen, das sei abschreckend, „tatsächlich kommen sie aber unglaublich gerne“, fügt Eisgruber hinzu.
Kontakt: Karin Eisgruber, Bürgerstiftung Nürnberg, Telefon: 0911-6604557, info@buergerstiftung-nuernberg.de, www.buergerstiftung- nuernberg.de
Bürgerstiftung Wiesloch: „Pluspunkt Alter“
Bürgerstiftungen mit klarem Profil können mehr bewirken. „Deshalb wollten wir einen Schwerpunkt setzen“, sagt Dr. Johann Gradl, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung. Entstanden ist der „Pluspunkt Alter“, der sich durch systematisches Vorgehen auszeichnet. Zunächst trommelte die Bürgerstiftung verschiedene Organisationen, die mit alten Menschen arbeiten, zusammen. Sie fand heraus, wo es welche Bedarfe gibt. „Schnell stand fest, dass es ein Problem gibt, das die anderen nicht so einfach lösen können: die Einsamkeit älterer Menschen“, sagt Gradl. Über Anzeigen und ihr Netzwerk rekrutierte die Bürgerstiftung Freiwillige. Auf Personen, die sich einsam fühlten, kam sie meist über Dritte, zum Beispiel Nachbarn, schließlich ist Einsamkeit kein Thema, über das Betroffene gerne sprechen. In Schulungen wurden die Freiwilligen dann auf ihren Einsatz vorbereitet. Geklärt wurden nicht nur Rechtsfragen, sondern etwa auch, wo die Grenzen der Tätigkeit verlaufen. Danach stellten die Projektmitarbeiter den Kontakt her. Nun erhalten in Wiesloch zahlreiche ältere Menschen regelmäßig Besuch von Jüngeren, die froh sind, helfen zu können. Bei Besuchen in Altersheimen kam außerdem heraus, dass es häufig an der einen oder anderen Kleinigkeit mangelt. Die Lösung: Die Bürgerstiftung organisierte einen Hilfsdienst, der kleine Besorgungen erledigt.
Kontakt: Dr. Johann Gradl, Bürgerstiftung Wiesloch, Telefon: 06222-383874, dr.johann.gradl@googlemail.com, www.buergerstiftung- wiesloch.de
Die Initiative Bürgerstiftungen ist seit ihrer Gründung im Jahr 2001 zentrales und unabhängiges Kompetenzzentrum für Bürgerstiftungen und Initiativen zu deren Gründung in Deutschland. Angeschlossen an den Bundesverband Deutscher Stiftungen vertritt sie die Idee der Bürgerstiftungen in den Medien und gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit.
Die Herbert Quandt-Stiftung setzt sich für die Stärkung einer freiheitlichen und solidarischen Gesellschaft ein. Mit ihrem Wirken will sie Menschen anregen, ihre individuellen Begabungen zu entfalten und Verantwortung für sich und für das Gemeinwesen zu übernehmen.
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